Somit sind wir schon recht tief im Thema: "Kunst kommt von Können“, steht dem Beuys´schen Ansatz gegenüber, demnach „jeder ein Künstler“ sei. Kunst kommt von Können - sehen Sie diesen Ansatz eher kritisch? Wird dadurch nicht auch Kreativität begrenzt?
Meiner Meinung nach ist diese Frage nicht eindeutig mit einem Ja oder Nein zu beantworten. Vielleicht kommt man einer Antwort recht nahe, wenn man ein wenig abstrahiert: Wenn ich irgendwo auswärts in einem Restaurant zum Essen gehe, dann könnte ich höchstwahrscheinlich die Qualität der Karte bzw. des Essens bewerten, wenn man mir ausschliesslich die üblicherweise einem Gast vorgesetzten Bratkartoffeln zur Verkostung bringt.
Jetzt kann ich Ihnen nur bedingt folgen: Was haben Bratkartoffeln und Kunst gemeinsam?
Meiner Auffassung nach eine ganze Menge: Es gibt gewisse Standards, die man beherrschen muss, wenn man sich an "die spezielleren Sachen" herantasten möchte. Wenn wir beim Kochen bleiben, dann bin ich persönlich der Auffassung, dass man zunächst einmal in die Lage versetzt werden muss, einen Standard wie von mir aus die „Bratkartoffeln“ so anzurichten, dass der Bekochte davon begeistert ist. Sie werden kaum einen Sternekoch finden, der nicht auch in der Lage ist, hervorragende Bratkartoffeln zu machen, obwohl er diese in der Regel nicht auf der Karte hat.
Was bedeutet das bezogen auf Kunst?
Das Zeichnen wurde früher von der sprichwörtlichen Pike auf gelernt. Wenn man in der Lage war hervorragende Zeichnungen zu erstellen, erst dann, dann wurde jemandem erlaubt, dass er (wieder) reduziert und abstrahiert arbeitet. Von Picasso stammt der Spruch, er habe Zeichnen gekonnt wie die Klassiker der italienischen Schule, aber sein Leben lang habe er daran gearbeitet, Dinge wieder so einfach darzustellen, wie es einem Kind gelänge. Er bringt damit meiner Auffassung nach zum Ausdruck, worum es geht, wenn man besondere Dinge schaffen möchte: Zunächst muss man die „Basics" beherrschen - also bitte mit den Bratkartoffeln anfangen und nicht mit dem komplizierten Gericht… In Kenntnis bzw. unter Beachtung der Basics erhält man wertvolle Kreativität, ohne diese zu beschneiden!
Als Stipendiant der Aldegrever-Gesellschaft wurde Ihr Talent bereits in jungen Jahren erkannt: Warum sind Sie -meiner Wahrnehmung nach- den künstlerischen Weg nicht konsequent weiter gegangen?
Dafür gibt es nicht „den einen Grund“, sondern eine Vielzahl. Entscheidungen trifft man auf Basis von Informationen, die man zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung hat: Nach dem Studium und meinen Stipendien war ich an einem Punkt angekommen, an dem eine Einscheidung getroffen werden musste, insbesondere auch aufgrund recht trivialer Bedingungen, wie sie beispielsweise die anstehende Zahlung der Wohnungsmiete oder ähnliches bieten. Im Rahmen der Stipendien hatte ich Gelegenheit Künstlerkollegen kennen zu lernen, die bemerkenswerte Arbeiten, die ein bemerkenswertes Werk abgeliefert haben. Dieses korrelierte nur in Ausnahmefällen mit der eigenständig geschaffenen wirtschaftlichen Situation des Künstlers. Von meinem Können waren die Förderer der Stipendien bzw. die Jurys ja scheinbar überzeugt. Also musste ich „nur noch“ den Mut aufbringen, alles auf eine Karte zu setzen, um konsequent als Künstler wahrgenommen zu werden.
Welchen Weg hielten Sie für die passendere Alternative?
Bereits während des Studiums war ich für Werbeagenturen tätig und fand es sehr spannend zu beobachten, wie Märkte und Kunden „funktionieren“. Hier sind, auch meiner heutigen Einschätzung nach, Kräfte oder Mechanismen am Werk, die sehr ähnlich wirken wie in der „Kunst“: Wenn man sich mit Erfolgreichen -wie auch immer man die definiert- austauscht, wird man irgendwann den Spruch zu hören bekommen, dass sich Qualität immer durchsetzt - hierzu dann gerne auch noch einmal der Bezug zu den vorgenannten Bratkartoffeln… Ich wollte von Beginn an Qualität liefern: Qualität liefern zu können, hat aber auch einen (Einstands-)Preis. Das muss man sich wiederum leisten können. So entschied ich mich parallel Kunst zu machen, diesen Luxus erarbeitete ich mir, indem ich ins Agenturgeschäft einstieg. Relativ schnell wurde ich zunächst Creative Director, später auch Geschäftsführer einer Agentur, was mir ermöglichte, losgelöst von Anforderungen des Marktes bzw. ohne weitere Vermarktung meiner Kunst gut leben zu können. Die Erstellung von Kunst musste in meinem Fall also nie wirtschaftlichen Anforderungen genügen, sondern entwickelte sich entsprechend meiner Betrachtungsweisen. Das sehe ich heute als großen Luxus an. Und genau vor diesem Hintergrund habe ich nun die Möglichkeit mich mit den Projekten zu befassen, die mich wirklich begeistern.
Was ist das Besondere an der von Ihnen geschaffenen Kunst?
Vieles scheint sich sprichwörtlich zusammen zu fügen: Bei Professor Escher habe ich seinerzeit gezeichnet, gezeichnet und gezeichnet… Ich habe mich mit Siebdruck befasst, habe den Einsatz bzw. die Umstellung zu den digitalen Verfahren begleitet und auch diese Entwicklung sehr nah mitbekommen. Diese neuen Möglichkeiten haben mich sehr beeindruckt, da sie sehr viele neue Chancen und Möglichkeiten für mich als Künstler bieten. Ich bin anfänglich keiner Diskussion aus dem Wege gegangen, wenn es darum ging, den Einsatz digitaler Medien in der Kunst zu rechtfertigen: Vor etwa 40 bis 50 Jahren gab es die Situation, dass Andy Warhol als einer der ersten Künstler industrielle Druckverfahren, nämlich den damals in der Industrie verwendeten Siebdruck in der Kunst etablierte: Die damals als renommiert geltenden Künstler und noch mehr die Kunstkritiker haben die Nase gerümpft - heute ist das ein anerkannter Standard! Das Besondere an den von mir geschaffenen Editionen und Unikaten ist, dass ich diese unter Verwendung druckgrafischer Elemente, unter Einbindung von Crossover aus den Bereichen Zeichnen und Grafik Bildmotive entwickeln kann. Diese tragen (m)eine typische Handschrift und bilden unsere aktuellen Entwicklungen ab. Ein Stück weit findet so eine Interpretation des Lifestyles statt, genau wie beim Kochen: Dort haben sich die Speisekarten auch verändert und das „Schnitzel Hawaii“ wird man zunehmend seltener finden - nur gute Bratkartoffeln, die bleiben Klassiker der Speisekarte....
Zur Person Jörg Tacke wurde 1971 im westälischen Rhede geboren und lebt seit seinem Grafik-Design-Studium in Münster. Jörg Tacke ist Geschäftsführender Gesellschafter einer Medienagentur, die namhafte nationale und internationale Marken berät. Mit diversen Kunstpreisen und Stipendien wurde sein Talent bereits früh erkannt und gefördert. Aktuelle Arbeiten sind insbesondere durch deren modularen Bildaufbau gekennzeichnet. Hierbei werden oftmals verschiedene künstlerische Gestaltungs- und Ausdrucksformen miteinander kombiniert. Jörg Tacke ist verheiratet und Vater einer Tochter.